Sakrale Kunst in Bugenhagen, Teil 4

Kerzenleuchter

„Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“

Mk 1,10f

Dieses Bild des herabkommenden Geistes in der Figur der –zugegebenermaßen etwas stilisierten- Taube zeigt der Ausschnitt des großen Kerzenständers in der Bugenhagen-Kirche, der hier zu sehen ist. Der Kerzenständer gehörte nicht zur ursprünglichen Ausstattung der Kirche, sondern wurde 1978 angeschafft. Es handelt sich hier um ein Werk des 1934 in Wismar geborenen und seit 1974 an der Akademie für Bildende Künste in Stuttgart lehrenden Karl-Henning Seemann (https://www.khseemann.de/), der zahlreiche Skulpturen und Brunnen für den öffentlichen Raum geschaffen hat. Hier im Norden schuf er u.a. das Kruzifix und das Eingangsportal der 1966 geweihten Dietrich-Bonhoeffer-Gedächtnis-Kirche in Braunschweig-Melverode und 1994 in Duderstadt den Wiedervereinigungsbrunnen sowie 1996 den Grenzpfahlbrunnen.

Der Ständer trägt die Oster- oder Taufkerze. Die Osterkerze steht schon seit
frühchristlichen Zeiten für den über den Tod siegenden, auferstandenen Jesus
Christus. Erstmals erwähnt wurde der Brauch bereits im 4. Jahrhundert. Zusätzlich ritzte man später in das Wachs ein Kreuz und die Buchstaben Alpha und Omega (den ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabetes und zugleich Symbole für Anfang und Ende, die Schöpfung und das Reich Gottes, Offenb. 1,8 und 22,13). Seit dem 11. Jahrhundert hat sie sich auch im deutschen Sprachraum etabliert. Da die Kerze aus reinem Bienenwachs hergestellt wurde, dem in einem aufwendigen Prozeß die Farbe entzogen wurde, so daß die Kerze weiß ist, war sie etwas sehr Kostbares. Als Symbol für die Erleuchtung, nicht das Verbrennen, sollte die Kerze nicht rußen, was damals nur mit Bienenwachs möglich war. Im Osternacht-Gottesdienst wird die brennende Kerze in die dunkle Kirche getragen und anschließend werden von ihr ausgehend die Kerzen der Anwesenden entzündet (so in Hannover auch in der Marktkirche). Traditionell steht die Osterkerze in katholischen Kirchen bis zu Pfingsten im Altarraum der Kirche und wird anschließend am Taufstein oder in der Taufkapelle (wenn eine solche vorhanden ist) aufgestellt und dann auch nur bei Taufen, Trauungen oder am Sarg bei Beerdigungen angezündet. In evangelischen Kirchen hat der Brauch der Osterkerze erst in den letzten Jahrzehnten wieder Einzug gehalten, wobei die Kerze das ganze Jahr über bei Gottesdiensten brennt. Bei uns in Bugenhagen wird die Kerze zu Beginn des Gottesdienstes am Ostermorgen in die Kirche getragen, auf den Leuchter gesetzt und von ihr das Licht zu den Altarkerzen gebracht. Am Ende der Andacht zur Todesstunde Christi am Karfreitag wird sie gelöscht und aus der Kirche getragen. Der Kerzenständer steht zwischen Altar und Taufstein, so daß hier die Taufkerzen angezündet werden können, um symbolisch das Licht von Ostern weiterzutragen. Und so verbindet sich die bei der Taufe herabkommende Taube auf dem Kerzenständer mit der auf ihm stehenden Kerze auch inhaltlich.

Michael Geis